Gemeinschaftsbasierter Tourismus und indigener Widerstand – Überlebensstrategien indigener Dorfgemeinschaften im Hochland Ecuadors
Stefan Preininger
Über viele Jahrhunderte hinweg wurde die indigene Bevölkerung im Hochland Ecuadors mit Situationen der Ausbeutung, Diskriminierung und Versuchen der Exterminierung konfrontiert. Trotz einer weitreichenden Anerkennung indigener und kollektiver Rechte und Prinzipien durch internationale Abkommen, aber auch durch die neue Verfassung des Landes, stehen die indigenen Dorfgemeinschaften heute vor neuen Herausforderungen in Bezug auf deren Recht auf selbstbestimmte Entwicklung, insbesondere in Verbindung mit dem ressourcenextraktivistischen Wirtschaftsmodell der Regierungen Ecuadors seit dem Erdölboom in den 1970er Jahren und den prekären Verhältnissen der indigenen Bevölkerung im landwirtschaftlichen Sektor.
Das Fortbestehen der indigenen Dorfgemeinschaften und ihre spezifischen Formen gemeinschaftlichen Wirtschaftens, politischer Organisation und kultureller Artikulation in Alterität zu okzidentalen beziehungsweise historisch dominanten Lebens- und Wirtschaftsformen sind trotz starker Veränderungsprozesse im Laufe der Geschichte mitunter einem kontinuierlichen Widerstand zu verdanken.
Die jeweiligen Artikulationsformen des indigenen Widerstandes für deren sozioökonomisches, politisches und kulturelles Überleben standen jedoch stets in einem dialektischen Verhältnis zum jeweiligen historischen Kontext. Insbesondere im Laufe des 20. Jahrhunderts kam es zu einer „Sichtbarmachung“ des indigenen Widerstandes durch aktivere Artikulationsformen, etwa in Form von politischer Organisation oder Massenaufständen. Die Herausbildung aktiverer Formen des indigenen Widerstandes und verstärkte politische Partizipation führten letztendlich auch zur Anerkennung der Plurinationalität im Zuge der Verabschiedung einer neuen Verfassung im Jahr 2008.
Neben aktiven Widerstandsformen der indigenen Bevölkerung existierten innerhalb der Dorfgemeinschaften jedoch auch stets passive oder alltägliche Formen des indigenen Widerstandes. Die Herausbildung des gemeinschaftsbasierten Tourismus, als eine von den Dorfgemeinschaften organisierte und getragene Form des Tourismus, ab Beginn der 1990er Jahre kann als spezifische Artikulationsform des passiven Widerstandes verstanden werden. Neben einer selektiven Anpassung an Marktdynamiken im Rahmen der touristischen Aktivitäten ist der gemeinschaftsbasierte Tourismus, als eine komplementäre Tätigkeit zu vorrangig landwirtschaftlichen Aktivitäten, eine Strategie für den Erhalt spezifischer Lebens- und Wirtschaftsformen innerhalb der Dorfgemeinschaften.
Mit etwa 200 landesweiten Initiativen bietet der gemeinschaftsbasierte Tourismus vielen indigenen Dorfgemeinschaften eine Möglichkeit für deren spezifisches sozioökonomisches, politisches und kulturelles Fortbestehen jenseits der kapitalistischen Logik des Massentourismus, der industriellen und monokulturellen Landwirtschaft, und der Arbeitsmigration. Als Teil einer solidarischen und nachhaltigen Ökonomie spiegelt diese Tourismusform auch die Prinzipien des indigenen „Guten Lebens“ wider und leistet somit einen Beitrag zur Konsolidierung dieses innovativen Konzeptes.
Stefan Preininger: Zivilersatzdienst in Ecuador; Arbeit mit Straßenkindern und arbeitenden Kindern Studium der Internationalen Entwicklung und Volkswirtschaftslehre an der Universität Wien; Zwei Semester Studium „Ökotourismus“ an der Universidad Central del Ecuador in Quito; zwei Semester Studium „Andine organische Landwirtschaft“ an der Universität für traditionelles Wissen „Jatun Yachay Wasi“ in Balbanera/Riobamba in Ecuador. Forschungsarbeit in Ecuador zum Thema des gemeinschaftsbasierten Tourismus.
e-mail: stefan.preininger@gmx.at