Der“ Kampf ums Recht“ in Lateinamerika: Externes Recht vs nationalstaatliches vs subnationales indigenes Recht?

Gernot Stimmer

Jherings 1872  publiziertes Rechtsverständnis als juristischer Ausdruck  der Durchsetzung von Interessen und Konfliktenfindet in der aktuellen Rechtsentwicklung bzw -durchsetzung  in Lateinamerika  in der Karibik eine neue Bestätigung. Einerseits  gehen die lateinamerikanischen Staaten zusehend von den ihnen durch Kolonialismus und nach der Unabhängigkeit  von der neuen  herrschenden Klasse oktroyierten Rechts- und Verfassungskonzeptionen ab zu Gunsten

-) multiethnisch-multikultureller  Staatlichkeit mit subnationaler autonomer Rechtsentwicklung (Indigene Rechte),

-) kulturspezifischer Sonderrechtstitel ( Natur als Rechtsperson)

-) neuer Staatszielbestimmungen ( „gut leben“)

-) sakraler, dem Privatrecht entzogener ,Schutzobjekte.

Andererseits überzieht ein immer dichteres Netz von  internationalen Normen externer Akteure in Gestalt internationaler Konventionen, regionalen Integrationsrechts bzw multi-und bilateraler Verträge mit Konditionalitätsklauseln die nationalstaatliche Rechtsordnung und bricht deren Geltung auf drastische d.h, mit Sanktionen erzwingbarer Wirksamkeit ,wodurch die neugewonnene „Rechtssouveränität“ des Einzelstaates ausgehöhlt bzw zu Gunsten eines übernationalen Rechts- und Wertesystems suspendiert wird.

Im Rahmen dieses sich bildenden „Rechtsmehrebenen-Systems“ ergeben sich logischerweise Konflikte und Probleme mit nicht nur rechtlichen, sondern gravierenden politischen und sozialen Konsequenzen. Dieser theoretisch abstrakte Befund soll durch zwei konkrete Fallbeispiele  bestätigt und transparent gemacht werden

1.Exerner Rechts-und Regeltransfer

Dieser Prozess ist nicht neu, er lässt sich für Lateinamerika  eigentlich seit der Monroe Doktrin feststellen, wonach die USA ein Interventionsrecht gegen jede ausländisch- europäische  Einflussnahme beanspruchten und umkehrt damit die Prädominanz von sektoralem US Recht durchsetzten. In neuer Form tritt diese Rechtsüberlagerung in der Vielzahl von multi-bzw bilateralen Verträgen zwischen den USA bzw der  EG/EU und lateinamerikanischen Integrationsbündnissen bzw Einzelstaaten auf. Beispiel: Die Auswirkungen der EPA-Verträge ( Economic Partnership Agreement) EU-CARIFORUM

Das 1992 konstituierte Caribbean Forum (CARIFORUM) bildet den institutionellen Rahmen für die Koordinierung der entwicklungspolitischen Beziehungen der EG/EU zu den (2011) 15 CARICOM-Mitgliedern auf der Grundlage des allgemeinen AKP Systems.

Eine einschneidende Zäsur vollzog sich im Zuge der (gemäß dem Cotonou-Vertrag von 2000) erfolgten Umwandlung des (2007 auslaufenden) AKP-Status zu (WTO-konformen) regionalen „Economic Partnership Agreements“ (EPA),die nach mehrjährigen Verhandlungs-runden und der Konstituierung einer Strategischen Partnerschaft 2006 schließlich Ende 2008 zum Abschluss eines gemeinsamen biregionalen (die früheren Einzelverträge ablösenden) neuen Freihandelsabkommens führten.

Das neue Wirtschaftspartnerschaftsabkommen stellt den Typus eines Nachhaltigkeit, Investitionsförderung, regionale Integration und Armutsbekämpfung einschließenden „Nord-Süd- Handels-und Entwicklungsabkommens der neuen Generation“ dar.

Durch die „partnerschaftliche“ Gleichstellung zollbegünstigter Exporte der CARIFORUM- Staaten in die EU mit Importen aus der EU ist jedoch sowohl eine Verschlechterung des früheren AKP-Status, als auch des eigenen subregionalen Integrationsfortschritts innerhalb von CARIFORUM feststellbar, die entlang des EPA Vertragstextes präzisiert werden soll.

2.Globales Wirtschaftsrecht  bricht autonomes Stammesrecht

Der Konflikt zwischen  dem argentinischen Erdölkonzern Compania General de Combustibles (CGC) und dem indigenen Stamm der Sarayacu in Ecuador 1992-2012

In der  neuen Verfassung Ecuadors von 2008 wurden die bereits in der Verfassung von1998 festgelegten “ Kollektiven Rechte“ der indigenen Völker (pueblos montubios) ausgeweitet (Art 57) und ihre Geltung auch auf internationaler Ebene durch die Ratifizierung einschlägiger Konventionen und  Rechtsakte über indigene Rechte (Rio Konvention über biologische Vielfalt  1992,ILO  Resolution 169 über indigene Völker und Stämme 1989,OAS Menschenrechtscharta 1948) verankert.

Vor dem Hintergrund  der zwischen Liberalisierung und Nationalisierung schwankenden Erdölförderungspolitik Ecuadors entstand 1992 mit der ersten Konzessionserteilung an die CGC folgendes Konfliktszenario:

Die 1996 erfolgte Verpachtung  von 200.000 ha erfolgte ohne Konsultation der Sarayacu, deren  Stammesgebiet  zu85% davon betroffen wurde

Der Einsatz von Polizei und Militär zur Sicherung der Abbaugebiete eskalierte zum offenen Widerstand der indigenen Völker dieses Gebietes, der auch breite internationale Unterstützung fand. und zur Unterbrechung der Explorationsarbeiten des Konzerns führte

Der bis heute nicht entschiedene Rechtsstreit soll in seinen grundsätzlichen  Argumenten nachgezeichnet werden und dabei die Kollision aufzeigen zwischen

*) dem nationalen (auf WTO Regeln und  Schutzabkommen mit internationalen Erdölfirmen gestützten) Recht des Staates Ecuador, über die natürlichen Ressourcen des Landes zu verfügen ( im Interesse des Gemeinwohls auch gegen Sonderrechte von Minderheiten)

*) den 1998 erstmals kodifizierten und 2008 in der neuen Verfassung umfassend verankerten Kollektiven Rechten der indigenen Völker, zu deren Einhaltung Ecuador zusätzlich durch internationale Konventionen verpflichtet ist und umgekehrt die Verantwortlichkeit der internationalen Staatengemeinschaft unter der Devise:(finanziell unterstützter) Umweltschutz vs Erdölerschließung( Beispiel Nationalpark Yasuni) einfordert.

Gernot Stimmer, geb. 1941, Studium der Rechtswissenschaften, Soziologie und Politikwissenschaft an den Universitäten Wien und Salzburg, 1965 Promotion zum Dr. iur., 1973-1993 Generalsekretär des Verbandes Österreichischer Bildungswerke, seit 1981 Lektor am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien, 1996 Habilitation, Universitätsdozent für vergleichende Politikwissenschaft. Forschungsschwerpunkte: EU Politik, Lateinamerika, Rechts- und Verfassungsfragen. email: gernot.stimmer@univie.ac.at