Menschenrechtliche Implikationen von land grabbing – und die Grenzen der zivilen Menschenrechtsbeobachtung
Christina Buczko
In den letzten Jahren erfuhr das Phänomen des land grabbing, einer neuen globalen Rekonzentration von Landbesitz in den Händen von Regierungen und privaten AkteurInnen in zahlreichen Regionen des globalen Südens, erhöhte Aufmerksamkeit. Für viele Bevölkerungsgruppen bedeutet land grabbing den Entzug ihrer unmittelbaren Lebensgrundlagen: des bislang genutzten Landes zur Produktion von Nahrungsmitteln, des Zugangs zu Wasser, zu Brennholz etc.
Guatemala weist bereits seit Jahrzehnten eine der höchsten Konzentrationen von Landbesitz der Region auf. Land grabbing hat in diesem Kontinuität. Bereits im Zuge der so genannten liberalen Reformen, durchgesetzt von den Militärregierungen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts, kam es zu einem groß angelegten Landraub durch die damaligen Eliten – inklusive der Schaffung der passenden Rechtsgrundlagen. Für die betroffenen indigenen Gemeinden stellten diese „Reformen“ einen weiteren Schritt zur Festigung ihrer ohnehin bereits bestehenden Marginalisierung dar. Bis heute leben ganze Dorfgemeinschaften in semi-feudalen Verhältnissen, wird ihre Anwesenheit und die landwirtschaftliche Nutzung des Landes ihrer Vorfahren durch die legalen BesitzerInnen bestenfalls geduldet. Wechselt das Land die/den BesitzerIn, verlieren diese Familien oft von einem Tag auf den anderen ihre Lebensgrundlage und werden zu Angehörigen jener Bevölkerungsgruppe, die internationale Organisationen als landlose KleinbäuerInnen bezeichnen. Vor mehr als 50 Jahren war die höchst ungleiche Landverteilung in Guatemala eine der Hauptursachen für den 36 Jahre währenden Bürgerkrieg. Nach dessen Beendigung ist das Teilabkommen der Friedensverträge, das eine Umverteilung des Landes zum Ziel hatte, jenes, bei dessen Umsetzung die wenigsten Fortschritte erzielt wurden.
Ausgehend von dieser historischen Ausgangslage lässt sich nun auch in Guatemala seit einigen Jahren eine weitere Konzentration des Landbesitzes beobachten. Das neue land grabbing und die damit einhergehende geänderte Landnutzung in den betroffenen Territorien verschärft die ohnehin dramatische Situation für viele, mehrheitlich indigene kleinbäuerliche Familien und Dorfgemeinschaften nun weiter. Land grabbing geht in der Regel mit vielfachen Verletzungen international und auch von Guatemala anerkannter Menschenrechte einher: das Recht auf ein Leben in Würde, das Recht auf ausreichende und angemessene Ernährung, das Recht auf Wohnraum u.v.a.
Internationale MenschenrechtsbeobachterInnen beobachten und analysieren diese Entwicklungen bereits seit vielen Jahren, und stehen in diesen Fällen vor multiplen Herausforderungen. Schon zuvor waren historische Landrechte in Guatemala kaum durchzusetzen, und auch die neuen EigentümerInnen bewegen sich zum Teil im Rahmen der Legalität des Landes. Sie verfügen in der Regel über geordnete Landtitel und betonen ihr Recht auf Privateigentum. Landlosen- und KleinbäuerInnenbewegungen werden kriminalisiert, Landräumungen erfolgen in der Regel höchst gewaltsam[1] und in Kooperation staatlicher Sicherheitskräfte und privater Sicherheitsunternehmen. Zudem reicht das Spektrum der involvierten AkteurInnen von nationalen politischen und wirtschaftlichen Eliten bis hin zu transnationalen Unternehmen. Internationale Menschenrechtsbeobachtung und Begleitung von MenschenrechtsverteidigerInnen hatte traditionell den Staat als Gegenüber. In den meisten Fällen von land grabbing versagt dieser in allen drei Dimensionen der Pflichtentrias des internationalen Menschenrechtssystems: der Achtung, dem Schutz und der Gewährleistung von Menschenrechten. Gerade in diesen Fällen sind jedoch auch der zivilen Menschenrechtsbeobachtung weitgehend die Hände gebunden. Die hier skizzierten Dynamiken sollen anhand des Beispiels der Menschenrechtsverletzungen in der Region des Polochic-Tals in Guatemala analysiert und im Hinblick auf die Rolle internationaler und ziviler Menschenrechtsbeobachtung diskutiert werden.
Christina Buczko schloss 2004 ihr Studium der Soziologie und Politikwissenschaft mit einer Diplomarbeit über soziale Bewegungen in Guatemala ab. Von 2004 bis 2007 leitete sie das Büro der Guatemala Solidarität in Guatemala Ciudad, und war Mitglied der Coordinación de Acompanamiento Internacional en Guatemala (heute: Acoguate). Seit 2008 arbeitet sie im Ökosozialen Forum in Wien zu u.a. zu Themen der internationalen Ernährungssicherheit, Entwicklungspolitik sowie Energie- und Ressourcenpolitik.
[1] Die Landräumungen im Polochic-Tal forderten zwischen März und Juni 2011 drei Todesopfer.